Literaturpreis Ruhrgebiet
Rede von Karr & Wehner
anläßlich der Verleihung des Literaturpreises RuhrgebietGehalten am 17. November 2000, Haus Opherdicke, Holzwickede
Redemanuskript (WW=Wehner RJ=Karr)
WW: Sehr geehrte Damen und Herren,
RJ: liebe Gäste und Literaturfreunde und innen
WW: Liebe Gonzo-Leser
RJ: Mitbürger, Freunde, Römer
WW: da stehen wir also...
RJ: Wir wissen natürlich, dass wir jetzt unseren Eltern und unseren Lehrern danken sollten. Unseren Verlegern, die an uns geglaubt haben, unserer Freunden und Unterstützern, ohne die wir hier nicht stehen würden...
WW:Aber weil Sie das bestimmt schon hundertmal auf ähnlichen Veranstaltungen gehört haben, nutzen wir die Gelegenheit hier und jetzt lieber, um einiges über uns und unsere Werke richtig zustellen.
RJ: Falsch ist:
Daß das alles stimmt, was wir schreiben, hundertprozentig der
Wirklichkeit entspricht. Da taucht zum Bespiel im "Hühnerherbst" ein
Stadtpressesprecher namens Steinboek auf - alles frei erfunden. Den Mann
heißt gar nicht so.
WW:Richtig ist dagegen:
Wir suchen uns alles, was uns interessant erscheint aus Zeitungsmeldungen,
Fernsehnachrichten und der Yellowpress zusammen. Wieweit Sie jetzt den
knallhart recherchierten Informationen der Boulevard-Magazine und bunten
Blätter glauben, müssen Sie selbst entscheiden. Andere Anregungen
für unsere Romane bekommen wir von Vertrauensleuten und Informanten,
deren Namen wir natürlich nicht nennen werden. Nur soviel: Der Mann,
der nicht Steinboek heisst, gehört vielleicht auch dazu.
RJ: Falsch ist natürlich auch:
Das es wirklich einen Heinrich Gonzo Gonschorek gibt, der als freier
Videokameramann sein Geld mit Unfallbildern, Brandaufnahmen und Tatortvideos
verdient.
WW: Richtig ist:
Daß es ganz viele Gonzos gibt und vielleicht auch unter uns hier
heute abend, also wenn Sie ins Fernsehen wollen, je größer Ihre
kriminelle Energie um so größer Ihre Chance auf der Mattscheibe.
RJ: Ganz falsch ist natürlich auch:
Daß wir auch privat ein Paar sind, in einer Literaten-WG hausen,
uns an unsere Hochleistungscomputer festketten und stündlich neue
Texte absondern.
WW: Ganz richtig ist:
Dass wir ein Autorenteam sind, eine Zweckgemeinschaft, die seit 1986
gemeinsam an Projekten und Büchern arbeitet, daneben aber auch eigene
Wege geht.
RJ: Falsch ist demzufolge auch:
daß Karr nur die geraden Seiten schreibt und Wehner die ungeraden.
WW: Ebenso falsch ist auch, dass Karr für die Sätze bis sieben Wörter zuständig ist und Wehner für Sätze mit mehr als sieben Wörtern.
RJ: Richtig ist:
Dass wir erst einmal überhaupt nichts schreiben, sondern uns alles
nur gegenseitig erzählen. Worum geht es in der Geschichte? Ist das
überhaupt eine Geschichte? Lohnt es sich, sie zu erzählen? Und
wenn ja: wie hart oder ironisch, wie knapp oder ausführlich kann man
sie erzählen? Und dass dann, nachdem wir alles besprochen haben, eigentlich
jeder alles schreibt, jeder die geraden und ungeraden Seiten, jeder die
Sätze mit weniger und mit mehr als sieben Wörtern.
WW: Richtig ist, dass es eigentlich nur eine Person gibt, die die GANZE Wahrheit über die Arbeitsweise von Karr und Wehner kennt - nämlich Maria, die Kellnerin aus dem Restaurant, indem wir uns einmal in der Woche treffen.
RJ: Drei wirklich wahre Geschichten über Karr & Wehner
wollen wir Ihnen heute abend noch anvertrauen:
Wie alles begann, wie alles beinahe geendet hätte, und wie es
dann doch noch geklappt hat.
WW: Düsseldorf, in den Achtzigern. Literaturwettbewerb der
Landeshauptstadt. Innen Tag.
Auf dem Gang vor dem Juryzimmer sitzen zwei Autoren. Karr, ein leptosomer
Mittdreißiger mit schütterem Haar und Brille, Wehner, ein gemütlicher
Alt-68er mit Bart.
Die beiden warten auf die Jury-Entscheidung - Karr hat sich in der
Gruppe "dramatische Szene" am Wettbewerb beteiligt, , Wehner mit "Kurzprosa".
Die beiden kauen an ihren Fingernägeln (jeder an seinen!). Sie kennen
sich natürlich - flüchtig - weil sie beide aus Essen kommen.
Und hier in Düsseldorf - sozusagen im Feindesland - verbindet so etwas...
Karr: Na...
Wehner: Naja.
Der Sprecher der Jury kommt aus dem Besprechungsraum.
Karr und Wehner springen auf.
Der Jurysprecher: Herzlichen Glückwunsch. Sie haben beide...
Karr und Wehner: Ja?
Der Jurysprecher: ..jeweils den zweiten Platz gemacht....
Schnitt
RJ: Später- Vor der Kunsthalle. Karr und Wehner kommen heraus.
Karr zündet sich gierig eine Zigarette an.
Karr: Der Zweite Platz. Sind wir jetzt zweitklassige Autoren?
Wehner: Zusammen würden wir vielleicht einen erstklassigen Autor
abgeben.
Karr mustert Wehner nachdenklich.
Karr: Wie meinst du das jetzt?
WW: Vier Jahre später
Ruhrgebiet, Essen, Westviertel, außen / Tag
Karr und Wehner auf Kreativspaziergang. Mit ein paar Jahren Abstand
sind sie hier im Viertel aufgewachsen, haben sogar dieselbe Schule besucht.
Die Stimmung ist angespannt - denn eben haben Karr und Wehner nach drei
Monaten Diskussion ihr aktuelles Romanprojekt verschrottet...
RJ: Gut, schreiben wir eben weiter Hörspiele.
WW: Und Großstadtgeschichten.
RJ: Aber ein Roman wäre wirklich nicht schlecht.
WW: Nein, ein Roman wäre nicht schlecht.
RJ: Die beiden bleiben stehen, weil auf der anderen Straßenseite Polizeiwagen, Notarzt und Rettungsdienst auffahren. Gerenne, Geschiebe, Gegaffe... Nach fünf Minuten braust ein Kombi im die Ecke und ein kleiner, drahtiger Typ steigt aus. Holt seine Videokamera und dreht, wie jemand auf einer Trage aus dem Haus gebracht wird...
WW: Interessanter Typ, dieser Kameramann...
RJ: Kommt viel rum, ist immer mitten drin...
WW: Woher hat der gewusst, dass hier was los ist?
RJ: Wahrscheinlich Polizeifunk abgehört....
WW: Hmmmm....
RJ: Hmmmm...
Die beiden sehen sich an.
WW: So ein Roman wäre nicht schlecht...
RJ: Nein, schlecht war so ein Roman nicht...
WW: Drei Jahre später.
Universität Essen, Aufbaustudiengang Literaturvermittlung. Seminar:
Verlagspraxis Seminarraum, innen / Tag
Der Verleger Gerd Haffmans hat den Studenten ein anonymes Manuskript
zur Begutachtung vorgelegt. Hinter den Studenten sitzen ganz unauffällig
Karr und Wehner. Karr sehnt sich nach einer Zigarette und Wehner kaut an
seinen Fingernägeln.
Gerd Haffmans bittet die Studenten um ihre Einschätzung des anonymen
Manuskriptes.
RJ: Student 1: Nun ja, ein Kriminalroman, hier aus der Region, aus Essen, wenn ich mich nicht täusche. Alles ziemlich...
WW: ...ziemlih dreckig, ziemlich vulgär, gar nicht nach dem klassichen Krimimuster. Alles so düster, nihilistisch, wenig optimistisch...
RJ: Eine studentin 1: Und das Frauenbild: grauenhaft.
WW: Und erst die Hauptfigur. So ein verklemmtes, unterdrücktes Macho-Arschloch...
RJ: Student 1: Genau. Und deswegen würde ich das Buch nicht
machen!
Gerd Haffmans nickt: "Genau. Genau deswegen werde ich das Buch machen!"
Verlegenes Entsetzen auf den Gesichtern der Studenten.
Im Hintergrund verstößt Karr gegen das strikte Rauchverbot
im Seminarraum und Wehner atmet erleichtert auf.
WW: So hat alles angefangen, meine Damen und Herren, ehrlich und wirklich. Nach dem GEIERFRÜHLING kam der RATTENSOMMER, dann der HÜHNERHERBST und schließlich BULLENWINTER und natürlich auch immer wieder Hörspiele und einige andere Bücher. GONZO, unser Held, hat inzwischen sieben Jahre auf dem Buckel und fast ein Dutzend Fernsehproduzenten überlebt, die versucht haben, seine Abenteuer zu verfilmen. Für ein Hörspiel ist er nach Sachsen entführt worden, ein paar Mal haben wir ihn auch für einen Gastauftritt in einem Krimi eines Kollegen ausgeliehen und weitgehend unbeschädigt zurückbekommen... Derzeit hat Gonzo ein Sabbatjahr genommen, damit er und seine Leser über den Tod seiner Assistentin Betty im BULLENWINTER hinwegkommen. Aber vielleicht können Sie ihn irgendwann einmal wieder erleben, wie bei dieser Geschichte:
RJ: Der Moosrosenkavalier
Sie waren schon alle da, als Gonzo in Altendorf ankam: Streifenwagen,
der Kleinbus von der Spurensicherung, die beiden Zivilkutschen vom Kriminaldauerdienst
und der Leichenwagen. Vorm Haus tuschelten die Nachbarn darüber.
WW:Der Blumenhändler, vor dessen Laden Gonzo den Kombi in eine Parklücke quetschte, schleppte die Dahlien aus dem Saisonangebot und die Yukkapalmen zum Sonderpreis aus der Straßenauslage in den Laden zurück. Als Gonzo die Suzie von der Ladefläche holte, plierte der Händler auf die Aufkleber auf den Seitenteilen. "Gonschorek Videoproduktion - TV und Werbung - sind Sie daß?"
RJ: Gonzo checkte die Suzie und kontrollierte die Akkus und behielt
den Hauseingang im Auge."Sind sie schon mit dem Sarg raus?"
WW: Der Blumenhändler kratzte sich am Kopf. "Moosröschen",
sagte er. "Vor drei Stunden hat er sich noch Moosröschen geholt.
17 Stück. Hochzeitstag, hat er gesagt, 17 Jahre." Er nahm den letzten
Armvoll Dahlien aus dem Eimer. "Er hat immer Moosröschen genommen."
RJ: "Klar", sagte Gonzo. "Ist der Sarg schon raus?"
WW: Der Händler schüttelte den Kopf. Von den Stielen
der Dahlien tropfte es. "Seine Frau war eine ganz liebe", sagte er. "Jede
andere hätte ihn schon längst auf die Straße gesetzt. Dauernd
diese Techtelmechtel. Zuletzt mit der Angelika aus der Lottoannahmestelle
an der Ecke. Immer Moosröschen. Zwei Wochen lang jeden Tag, bis er
sie rumhatte. Und vorher die Kindergärtnerin, achtzehn Tage. Oder
die Blonde vom Friseur, nur drei Tage. Und immer Moosröschen."
RJ: "Alles klar", sagte Gonzo und drängelte sich mit
der Suzie auf der Schulter durch die Gaffer. Er hatte Glück. Hoffmeister
von der Nordwache stand am Eingang und nickte Gonzo nur kurz zu, als er
sich ins Treppenhaus schob. Es war die Parterrewohnung. Im Treppenhaus
warteten die Bestatter mit ihrem Blechsarg, die Wohnungstür stand
auf, Spurensicherer in ihren weißen Anzügen stellten ihre Nummerntäfelchen
auf und fotografierten. Kommissar Behrendt vom Kriminaldauerdienst lehnte
in der Küchentür, die Hände in den Jackentaschen.
WW: "Mach schnell", sagte er zu Gonzo. "Du gibst ja sowieso
nicht eher Ruhe, bis du deine Bilder hast."
RJ: Gonzo setzte die Suzie an. Auf dem Küchenboden lag zerschlagenes
Porzellan, Stücke von Tellern, mit Soße verschmiert, zwei, drei
Fleischrouladen, Kartoffeln. Aus dem Wohnzimmer kamen Stimmen. Jemand weinte.
WW:"Die Leiche geht nicht über den Sender!" sagte Behrendt
und ging zur Seite. Gonzo schob sich in die Küche, schwenkte die blitzblanke
Edelstahlspüle und die Hängeschränke ab, den Tisch, die
Wachstuchdecke mit den Sommerblumen auf dem Boden und die Scherben. Der
Tote lag vor dem Küchenschrank, das Gesicht von Stichen zerfetzt,
die Brust voller Blut und das Filettiermesser im Bauch.
RJ:"Siebzehn Stiche", sagte Behrendt zu niemand bestimmtem.
Jemand hatte dem Toten die Hände auf der Brust gefaltete, der Moosröschenstrauß
klemmte zwischen den Fingern.
WW: Gonzo setzte die Suzie ab. Im Wohnzimmer weinte eine Frau.
RJ: "Sie?" fragte Gonzo.
WW: Behrendt nickte und machte den Leichenträgern mit ihrem
Sarg Platz. "Hat uns selber angerufen."
RJ: "Motiv?" fragte Gonzo, mehr der Form halber.
WW: "Noch offen", sagte der Kommissar.
RJ: Die Leichenträger nahmen dem Toten die Moosröschen
aus der Hand, ehe sie ihn in den Blechsarg legten.
Vielen Dank