Interview mit

H.P. Karr & Walter Wehner

Anläßlich der Verleihung des GLAUSER 1996 - KRIMIPREIS DER AUTOREN


Das Autorenteam Karr & Wehner - in extenso Reinhard Jahn aus Essen und Walter Wehner aus Iserlohn - wurden für Ihren Thriller "Rattensommer" in diesem Jahr mit dem "Glauser", dem "Krimipreis der Autoren" der Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur DAS SYNDIKAT ausgezeichnet. In dem von der Jury als "deutscher hardboiled Krimi" gelobten Roman erzählen die Autoren von Machenschaften von Schrott- und Mädchenhändlern, in die ihr Protagonist, der freie Videokameramann "Gonzo" Gonschorek verwickelt wird.

Mit den Autoren sprach Thomas Przybilka.

FRAGE: Sie haben für Ihren Krimi "Rattensommer" den `Glauser 1996 - Krimipreis der Autoren` erhalten. Welche Bedeutung hat dieser Preis für Sie?

K&W: Die Bestätigung durch die Kollegen ist ein Lob und eine Anerkennung, die schwerer wiegen als die Umsatzzahlen - die sich aber vielleicht dank des `Glausers` jetzt der Preissumme annähern. Natürlich ist die Auszeichnung auch Antrieb, unseren Helden "Gonzo" Gonschorek weiter auf seiner Tour de Ruhr nachzuspüren.

FRAGE: Die Jury hat in ihrer Begründung unter anderem gesagt, daß Ihr Krimi sogar das Prädikat "deutscher hardboiled Krimi" vertragen dürfte. Stimmen Sie dieser Typologisierung zu?

WEHNER: Seit den letzten Salmonellenwarnungen in meiner Frühstückszeitung koche ich alle Eier hart. Ich vermute aber, das Leben der echten Gonzos ist härter.

KARR: Wir erzählen vom Leben und vom Überleben in der Großstadt, davon, wie sich unser Held in der Medienwelt durchschlagen muß. Das hat natürlich nichts mit kuscheligen Katzen zu tun, und auch wenig mit Tüftel- und Ratekrimis. Wenn wir hardboiled schreiben, dann wahrscheinlich, weil das Leben - zwar nicht immer, aber doch oft - so ist.

FRAGE: Der deutsche Krimi wird gerne mit Begriffen wie Stadtkrimi und Regionalkrimi belegt. "Rattensommer" spielt im Revier. Würden Sie die Bezeichnung Regionalkrimi für Ihren Krimi gelten lassen?

WEHNER: Nein. Irgendwo müssen die Stories ja spielen, also warum nicht da, wo wir uns einigermaßen auskennen? Und man sagt ja auch nicht, das Edgar Wallace London-Krimis oder Raymond Chandler Los Angeles-Krimis geschrieben hat. Daß unsere Krimis im Ruhrgebeit spielen, ist kein Kalkül oder Konzept, sondern liegt ganz einfach daran, daß wir den größten Teil unseres Lebens hier verbracht haben.

FRAGE: Sie haben sich in Ihrer Eigenwerbung einmal als die "ältesten newcomer der Krimiszene" bezeichnet. Nach der Auszeichnung mit dem "Glauser" werden Sie sich da wohl etwas neues einfallen lassen müssen?

K&W: Wir arbeiten daran. Vielleicht: "Zwei Autoren zum Preis von anderthalb." Oder: "Karr & Wehner - Jetzt auch mit Glauser!"

FRAGE: Wie sind Sie vor acht Jahren eigentlich dazu gekommen, als Autorenteam zu schreiben?

KARR: Wir kannten uns aus der Literaturszene und standen dann bei einem literarischen Wettbewerb in Düsseldorf nebeneinander auf dem Preisträgertreppchen. Als wir uns hinterher nochmal unterhielten, haben wir entdeckt, daß wir eine ganze Reihe von Ideen für Geschichten hatten und haben uns schließlich gemeinsam daran gemacht, diese Geschichten auch einmal aufzuschreiben.

FRAGE: Wie teilen Sie sich die Recherchearbeit, die Entwicklung der plots und das Schreiben auf?

K&W: Ganz einfach. Man nehme ein Ziel, bestimme die Wegstrecke, entscheide das Fortbewegungsmittel und lege los. Wichtig ist immer die Geschichte, um die es geht. Darüber gibt es lange Diskussionen. Der Text selbst wird dann rigoros dahingehend überprüft, ob er die Geschichte so präsentiert, wie wir es wollen. Es wird gnadenlos gestrichen, redigiert, neu- und umgeschrieben. Der Erfolg rechtfertigt mal wieder die Mittel.

FRAGE: Trotzdem muß es doch bei zwei Autoren mit so bekanntermaßen unterschiedlichen Biographien irgendwelche Reibungspunkte geben?

WEHNER: Wem ist was bekannt? Die Eltern des einen haben es am Saalestrand nicht ausgehalten, die des anderen nicht am Lennestrand. Aber hier im Ruhrgebiet sind wir, mit ein paar Jahren Abstand - zur selben Schule gegangen, haben an der gleichen Universität ähnliches studiert. Was sind da schon die paar Jahre Altersunterschied?

KARR: Natürlich gibt es Unterschiede. Wehner hat einen Führerschein und trinkt kein Mineralwasser.

WEHNER: Dafür kennt Reinhard sich im Internet besser aus.

FRAGE: Die "Gonzo"-Serie ist als Quartett angelegt. "Geierfrühling" war der erste Teil, der "Rattensommer" der zweite. Können Sie schon etwas zu den nächsten Titeln sagen?

WEHNER: Natürlich - aber über ungelegte Eier soll man kein Salz streuen. "Hühnerherbst", meint unser Lektor, wäre als Titel akzeptabel. Für den Winter nehmen wir gerne noch zoologische Vorschläge entgegen.

FRAGE: Wie kommen Sie eigentlich immer auf diese griffigen Titel?

K&W: Karr war schon immer gut in Biologie und Wehner kann bis vier zählen, wenn er eine Eselsbrücke hat.

FRAGE: Eine Frage an Reinhard Jahn zu dem Pseudonym "H.P. Karr" unter dem Sie ja auch schon früher geschrieben haben. Haben Sie diesen speziellen Decknamen aus einem bestimmten Grund gewählt?

KARR: Nein, "Karr" ist weder der Mädchenname meiner Mutter noch irgendeine Verschlüsselung. Der Name ist auch keine Hommage an den Krimi-Autor John Dickson Carr, wie oft gemeint wird...

FRAGE: Aber vielleicht ein Verweis auf John le Carré, der ja seltsamerweise am gleichen Tag wie Sie geboren ist?

KARR: Das habe ich auch erst hinterher herausgefunden, genauso wie die Tatsache, daß Wehner am gleichen Tag wie Graham Greene Geburtstag hat. Nein, ich habe früher viel mehr journalistisch gearbeitet, meine Reportagen und Rezensionen erschienen unter meinem richtigen Namen. Um meine schriftstellerischen Arbeiten davon abzusetzen habe ich ein Pseusonym gewählt, und zwar den erstbesten Namen, der mit einfiel.

FRAGE: Unter H.P. Karr haben Sie vor nicht allzu langer Zeit einen Ratgeber auf die Menschheit losgelassen, wie man richtig Kontakt- und Bekanntschaftsanzeigen verfaßt. Ein bewußter Ausbruchsversuch aus dem Krimigenre?

KARR: Ein Buch zu einem Thema, das mich interessierte. Ein alter Kollege aus Essener Tagen, René Zey, fragte mich, ob ich Lust hätte, an dem Projekt mitzuarbeiten, das er aufgetan hatte. Bei den Rechcherchen in der Kontaktanzeigen-Szene sind wir dann auf ein paar interessante Geschichten gestoßen, die sich vielleicht auch einmal in einem Gonzo-Roman wiederfinden werden. So kommt eins zum anderen.

FRAGE: Walter Wehner, Sie recherchieren derzeit auch für eine Biographie einer Feministin des 19. Jahrhunderts. Was können Sie uns zu dieser Arbeit sagen?

WEHNER: Wer was über Louise Aston (*1814 +1871), geb. Hoche, verheiratete Aston, geschiedene Aston, verheiratete Aston, geschiedene Aston, (sic!) verheiratete Meier weiß, möge es mir mitteilen. Ich bräuchte Kontakte nach Rumänien, Frankreich, Rußland, Polen, Slowenien, Österreich, Dänemark.

FRAGE: Was fasziniert Sie an dieser Frau?

WEHNER: Um von einer Frau loszukommen, sagte mein Großvater Wachowski, ein hard-boiled Chauvi und Hühnerhalter, mußt du sie entweder heiraten oder ein Buch darüber schreiben. Ich hab's zunächst mit einer Scheidung versucht, jetzt sitze ich seit 20 Jahren am Buch.

FRAGE: Walter Wehner, Sie sind mit Ihren ersten Büchern als Lyriker hervorgetreten, also landläufig als ein "richtiger Dichter". Wie haben Sie da die Kurve zur Kriminalliteratur gekriegt?

WEHNER: Ich hab schon im Kindergarten das Blaue vom Himmel gelogen; das Revier ist ja berüchtigt für seine grauen Wolken. Und jeden Tag an Gedichten zu arbeiten, das haben nicht mal Georg Trakl und Paul Celan ausgehalten. Ich wollte einfach länger leben - dafür müssen jetzt andere sterben.

FRAGE: Deutsche Krimis haben es ja auf dem von englischen und amerikanischen Romanen gesättigten Markt nicht leicht. Wie sehen Sie die Lage des deutschen Krimis?

WEHNER: Meistens gleich im Regal neben der Kasse des Buchhändlers. Ganz so schlimm kann es also nicht sein.

KARR: Ohne die vielen Leser, die deutsche Krimis kaufen, hätten wir deutsche Autoren in den letzten Jahren unsere Position neben den internationalen Autoren nicht so gut ausbauen können. Diese Entwicklung wird sich auch in der Zukunft fortsetzen, davon bin ich überzeugt.

FRAGE: Eine Standortbestimmung des deutschen Krimis? Schlagworte die "Sozio-Krimi" und "neuer deutscher Krimi" kursieren ja bereits seit einigen Jahren.

K&W: Wir werden das einmal bei unserer nächsten Einladung in ein Germanistik-Seminar mit den Studenten besprechen, unter besonderer Berücksichtigung des Frauenbonus, des Ausländeranteils mit und ohne Hauskatze, des Karl-Marx-Stadt- versus Chemnitz-Syndroms, der evangelischen bzw. katholischen Prädisposition der Leserschaft.

KARR: Der deutsche Krimi ist immer dann gut und konkurrenzfähig, wenn er eine gute und spannende Geschichte aus der Welt erzählt, in der wir leben. Das haben Kollegen wie -ky, Molsner und Werremeier unter Beweis gestellt. Man darf den Leser nicht einfach mit Floskeln und Klischees abspeisen, nach dem Motto: "Harry, schau mal auf der letzten Seite nach, wer der Mörder ist!"

FRAGE: Welchen Rat geben Sie dem deutschen Krimi-Nachwuchs? Was soll man schreiben, an welchen Verlag soll man sich wenden?

K&W: Zuerst sollte man alles mal versuchen und rumschicken, kein Forum, keine Zeitschrift, keine Anthologie für zu gering erachten, die den Autor und seine Texte ernstnehmen, nach allen 'Preisen' greifen, die höher sind als die Porto- und Kopierkosten. Bevor man seinen ersten Krimi schreibt, sollte man zunächst einmal mindestens 100 Krimis gelesen haben, damit man weiß, was es schon alles gegeben hat. Man sollte sich bei dem ersten Roman nicht gleich vornehmen, die ganze Kriminalliteratur revolutionieren zu wollen. Es reicht schon, wenn man einen kleinen Aufstand veranstaltet, eine neue Idee, einen neuen Tonfall, eine neue Perspektive findet.

FRAGE: Und wie findet man den richtigen Verlag?

KARR: Indem man jedem Verlag, in dessen Programm das eigene Buch passen könnte, ein Exemplar das Manuskriptes schickt. Dadurch bekommt man im ungünstigsten Fall eine Sammlung gutformulierter Ablehnungsschreiben und im günstigsten Fall ein paar ernstgemeinte Angebote.

WEHNER: Ich glaube, nicht jeder hat schon gleich bei seinem ersten Buch die Auswahl zwischen verschiedenen interessierten Verlagen. Als wir sie beim "Geierfrühling" hatten, haben wir es uns lange überlegt und meinen heute, daß wir eine gute und auch richtige Entscheidung getroffen haben. Die Chance einen hard-boiled Krimi als hardcover mit Option auf eine Taschenbuch-Ausgabe zu machen, bekommt man schließlich nicht alle Tage.

FRAGE: Neben den Romanen schreiben sie als Team auch Hörspiele, haben die Story für ein Ratekrimi-Puzzle entwickelt und arbeiten derzeit an einem Jugendkrimi. Gibt es da einen Unterschied zu einem Krimi für Erwachsene?

KARR: Bei einem Jugendkrimi ist die Gefahr größer, unbewußt Klischees zu reproduzieren, weil sich die Erinnerungen an die eigenen Leseerfahrungen sehr leicht verselbständigen. Wir lernen bei dem neuen Projekt mit jeder Seite, die wir schreiben, dazu. Grundsätzlich gibt es allerdings keine Unterschiede, ob man für Jugendliche oder für Erwachsene schreibt.

FRAGE: Vielen Dank für das Gespräch.

© Thomas Przybilka, Buschstr. 14, D-53113 Bonn
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